Rechtsprechung

Mindestpersonal im Pflegedienst als Maßnahme des Gesundheitsschutzes

 

Das BAG hat mit Beschlussv. 19.11.2019, 1 ABR 22/18, dem Antrag einer Arbeitgeberin, mit dem diese einen Einigungsstellenspruch über Mindestbesetzungen im Pflegedienst einer Klinik angefochten hat, stattgegeben, ohne über die Zulässigkeit von solchen Regelungen als Maßnahme des Gesundheitsschutzes zu entscheiden. Damit bleibt die entsprechende Streitfrage weiterhin offen.
 
In einer anderen Entscheidung, die allerdings nicht aus dem Bereich des Sozialwesens kommt, ist das BAG dagegen etwas konkreter auf Gefährdungsbeurteilungen eingegangen. Hier ging es zwar nicht um Personalschlüssel, gleichwohl aber um die Kompetenz der Einigungsstelle im Hinblick auf konkrete Maßnahmen zum Gesundheitsschutz. Mit Beschluss vom 13.8.2019, 1 ABR 6/18, hat das BAG den Spielraum der Einigungsstelle im Hinblick auf die Gefährdungsbeurteilung eingeschränkt. Bereits im Leitsatz formulierte das BAG:

"Die von einer Einigungsstelle mit dem Regelungsauftrag "Gefährdungsbeurteilung" durch verfahrensrechtliche Vorgaben auszugestaltenden Handlungspflichten des Arbeitgebers im Rahmen von § 5 Abs. 1 ArbSchG erfassen weder die Prüfung, welche konkreten Arbeitsschutzmaßnahmen angesichts einer ermittelten Gefährdung ggf. in Betracht kommen können, noch deren Wirksamkeitskontrolle."

 An späterer Stelle wird dazu weiter ausgeführt:

"Nach § 5 Abs. 1 ArbSchG hat der Arbeitgeber durch eine Beurteilung der für die Beschäftigten mit ihrer Arbeit verbundenen Gefährdung zu ermitteln, welche Maßnahmen des Arbeitsschutzes erforderlich sind. Die danach vom Arbeitgeber durchzuführende Gefährdungsbeurteilung umfasst die Überprüfung, ob und ggf. welche Gefährdungen mit einer Tätigkeit einhergehen. Die mit der Arbeit des Beschäftigten verbundenen möglichen Gefährdungen müssen eruiert und im Hinblick auf ihre Schwere (vgl. BT-Drs. 13/3540 S. 17: „Art und Umfang des möglichen Schadens“) und das Risiko ihrer Realisierung bewertet werden. Untrennbare Bestandteile der Gefährdungsbeurteilung sind dabei auch die Prüfung, ob Schutzmaßnahmen geboten sind, und die Bewertung der Dringlichkeit eines Handlungsbedarfs. Der im Rahmen von § 5 ArbSchG von der Einigungsstelle auszugestaltende Handlungsspielraum des Arbeitgebers erfasst jedoch nicht die Beantwortung der Frage, welche konkreten Maßnahmen zum Schutz der Gesundheit und Sicherheit der Arbeitnehmer angesichts einer festgestellten Gefährdung ggf. in Betracht kommen können. Dies ergibt die Auslegung von § 5 Abs. 1 ArbSchG."

Inwieweit sich daraus allerdings Rückschlüsse zur o.a. Frage des Mindestpersonals ziehen lassen bleibt zunächst abzuwarten.

24.11.2019 MdC

 

Sozialversicherungspflicht - Honorarkräfte

Das LSG Nordrhein-Westfalen hat mit Entscheidung v. 27.06.2019 - L 5 KR 492/16 die (Renten-) Versicherungspflicht einer auf Honorarbasis tätigen Familienhelferin festgestellt.

Zu kommentieren gibt es hier nichts - da die Entscheidung auf bereits langjährig geübte Praxis der Statusfeststellung zurückgreift und zudem die Entscheidungspraxis in NRW zur Sozialversicherung erfahrungsgemäß eher zu einer Versicherungspflicht gelangt.

Eine gewichtige Entscheidung hat dagegen das BSG (Entscheidung vom 7.6.2019, B 12 R 7/18 RB 12 R 7/18 R) hinsichtlich der Sozialversicherungspflicht einer auf Honorarbsis tätigen Pflegekraft in einer Pflegeeinrichtung (SGB XI) getroffen. Hier wurde die SV-Pflicht in allen Zweigen der Sozialversicherung festgestellt. Ohne auf die Details einzugehen, war in dieser Entscheidung eine interessante Auseinandersetzung mit der Frage zu finden, ob die pflegerische Gesamtverantwortung nur im Rahmen eines weisungsgebundenen Arbeitsverhältnisses wahrgenommen werden kann. Diese Frage hat das BSG zwar nicht beantworten müssen, aber gleichwohl einige Anmerkungen "hinerlassen":

"Der Senat muss nicht entscheiden, ob eine verantwortliche Pflegefachkraft ihre pflegerische Gesamtverantwortung nur dann effektiv wahrnehmen kann, wenn ihr eine Weisungsbefugnis gegenüber den einzelnen Pflegekräften bei der Ausübung von deren Pflegetätigkeiten zusteht und ob dies stets ein Beschäftigungsverhältnis zwischen Pflegekräften und Pflegedienst voraussetzt (so für einen ambulanten Pflegedienst BSG Beschluss vom 17.3.2015 - B 3 P 1/15 S ua - Juris RdNr 11; Wahl in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XI, 2. Aufl 2017, § 71 RdNr 25 und 16; Schmidt in Kasseler Komm, SGB XI, Stand Dezember 2016, § 71 RdNr 15; Dickmann, Heimrecht, 11. Aufl 2014, Abschn H SGB XI, § 71 RdNr 5; kritisch Weber/Philipp, NZS 2016, 931 ff). Jedenfalls setzt das SGB XI einen hohen Organisationsgrad zur Qualitätssicherung voraus. Auch das Heimrecht sieht in § 6 des während der streitigen Zeiträume noch anwendbaren Heimgesetzes für Baden-Württemberg (vom 10.6.2008 - GBl 169; seit 31.5.2014 vgl § 10 des Wohn-, Teilhabe- und Pflegegesetzes Baden-Württemberg vom 20.5.2014 - GBl 241) für den Betrieb einer stationären Einrichtung strenge Vorgaben hinsichtlich der Kontrolle und Verantwortlichkeit des Betreibers für Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität vor, die durch die Heimaufsicht kontrolliert werden. Diese regulatorischen Rahmenbedingungen haben im Regelfall die Eingliederung von Pflegefachkräften in die Organisations- und Weisungsstruktur der stationären Pflegeeinrichtung zur Folge. Für eine nur ausnahmsweise in Betracht kommende selbstständige Tätigkeit im sozialversicherungsrechtlichen Sinne müssen daher gewichtige Indizien bestehen."

Da es auch in der Kinder- und Jugendhilfe um die Wahrnehmung einer entsprechenden Verantwortung geht, sollte man bei der Gestaltung von Honorarverträgen sehr sorgfältig sein und vor allem prüfen (lassen), ob diese überhaupt in Frage kommen.

 24.11.2019 MdC

Keine Steuerfreiheit für ISE

Das FG Baden-Württemberg hat mit Urteil vom 26.3.2019, 11 K 3207/17, die Einkünfte einer auf Honorarbasis für ein Jugendwerk tätigen staatlich anerkannten Jugend- und Heimerzieherin nicht als steuerfrei angesehen:

"Bei den Vergütungen des Jugendwerks X handelte es sich nicht lediglich um als Beihilfen zur Erziehung von Jugendlichen bewilligte Bezüge aus öffentlichen Mitteln im Sinne des § 3 Nr. 11 EStG, sondern um Vergütungen für eine unternehmerisch betriebene sozialpädagogische Einzelbetreuung, Verpflegung und Unterbringung einer intensiven Betreuung bedürftiger Jugendlicher. Diese Vergütungen werden durch die genannte Vorschrift nicht steuerbefreit."

Zur Begründung wurde u.a. auf die hohe Vergütung abgestellt:

"Auch die von ihr erbrachten Leistungen sowie die Art und Höhe der Vergütung sprechen für einen Grad an institutionalisierter Professionalität, der über eine Aufnahme familienfremder Jugendlicher in den eigenen Haushalt  – einschließlich der Übernahme der damit typischerweise verbundenen Betreuungs- und Erziehungsaufgaben –  weit hinausgeht."

Bedeutsam ist in diesem Zusammenhang auch, dass das Gericht auch auf die berufliche Qualifikation zurückgegriffen hat:

"Die Klägerin hat von 2007 bis 2010 eine Ausbildung zur staatlich geprüften Heim- und Jugenderzieherin absolviert, um nicht nur im Rahmen einer klassischen Pflegefamilie Kinder und Jugendliche betreuen zu können, sondern sich gezielt für ihre vorliegend ausgeübte Tätigkeit als Erzieherin besonders intensiver Betreuung bedürftiger Jugendlicher zu qualifizieren."

Nun handelt es sich hier noch um eine erstinstanzliche Entscheidung, deren Fortgang aber mit großem Interesse verfolgt werden darf. Die Revision ist bereits eingelegt unter dem AZ VIII R 13/19.

 

24.11.2019 MdC

Überstunden erlöschen nicht zwingend während der Freistellung

Nachdem nun einige Wochen keine wirklich interessanten Entscheidungen zu vermelden waren, hat das BAG gestern eine überraschende Entscheidung in einem Kündigungsrechtsstreit getroffen. Hier ging es um die Freistellung der Arbeitnehmerin in der Kündigungsfrist.

Ist eine Kündigung ausgesprochen, ist die Zusammenarbeit bis zum Ablauf der Kündigungsfrist meist für beide Seiten problembelastet. Hier kann eine (unwiderrufliche!)  Freistellung von der Arbeitspflicht eine ganz gute Lösung sein. Über die Voraussetzungen dazu soll hier nicht weiter ausgeführt werden.

Anerkannt ist, dass bei einer unwiderruflichen Freistellung etwaige noch bestehende Resturlaubsansprüche des Arbeitnehmers erledigt werden können (so z.B. BAG 20.08.2019, 9 AZR 468/18). Aber wie verhält es sich mit Überstunden? Im nun entschiedenen Fall hatte die Arbeitnehmerin knapp 68 "Plusstunden". In der Vereinbarung mit dem Arbeitgeber wurde jedoch (nur) eine unwiderrufliche Freistellung vereinbart, mit der die "Urlaubsansprüche in Natur" gewährt wurden. Von Überstunden war in diesem Fall nicht die Rede.

Der Arbeitnehmerin wurden in diesem Fall daher vom BAG auch die Überstunden, bzw. die entsprechende Vergütung, neben der Freistellung zugebilligt.

Das Urteil (BAG v. 20.11.2019, AZ 5 AZR 578/18) ist noch nicht veröffentlicht, wird aber in Kürze hier zu finden sein.

 

MdC 21.11.2019

Tarifbindung und Entgelt, Personaleinsatz

In einem aktuellen Urteil aus dem SGB XI-Bereich wurde die Bedeutung der Tarifbindung hinsichtlich der Entgeltrelevanz noch einmal herausgestellt. Zudem gin es um einen Personalschlüssel, der die obere Grenze des dort geschlossenen Rahmenvertrages erreicht hat. Das LSG Mecklenburg-V. hat hier bereits im Leitsatz die entscheidenden Punkte treffsicher formuliert:

"Im Falle einer Schwerstpflegeeinrichtung für Mehrfachbehinderte ist alles andere als eine weitgehende Ausschöpfung der nach Landesrahmenvertrag möglichen Personalausstattung weder zu erwarten noch im Sinne der Heimbewohner zu wünschen.
Auf der ersten Prüfungsstufe als plausibel anerkannte Personalkosten können regelmäßig nicht als unwirtschaftlich betrachtet werden, wenn ihre Höhe auf der Einhaltung einer Tarifbindung bzw. der Zahlung ortsüblicher Gehälter beruht. Das gilt auch dann, wenn die Einrichtung, die ein Erhöhungsverlangen geltend macht, bereits zur Spitzengruppe der Vergleichseinrichtungen gehört."

Urteil LSG M.-V. v. 27.08.2019, Az L 6 P 20/12 KL (download)

 

MdC 30.10.2019

Besitz von Kinderpornographie mit dem Beruf des Lehrers unvereinbar

Der Besitz von Kinderpornographie durch Lehrer führt in Disziplinarverfahren in aller Regel zur Entfernung aus dem Beamtenverhältnis. Dies hat das Bundesverwaltungsgericht am letzten Donnerstag in zwei Revisionsverfahren entschieden und dabei seine Rechtsprechung zu Fällen dieser Art fortentwickelt.

Die Entscheidung des BVerwG ist sehr zu begrüßen, da die Rechtsprechung dazu in vielen Fällen nicht ganz so deutlich wurde.

Der Volltext liegt noch nicht vor, aber es gibt schon eine Pressemitteilung.

MdC 26.10.2019

Rückabwicklung Arbeitnehmerstatus

Ein Schreckensszenario für viele Arbeitgeber ist, wenn sich die Anstellung eines freien Mitarbeiters im Nachhinein als sozialversicherungspflichtiges Arbeitsverhältnis herausstellt. Insbesondere die rückwirkende Berechnung der Sozialversicherungsbeiträge hat erhebliche finanzielle Auswirkungen.

Nach der Rechtsprechung des BAG kann der Arbeitgeber unter bestimmten Voraussetzungen jedoch die Rückzahlung überzahlter Honorare verlangen, wenn der Arbeitnehmerstatus eines vermeintlich freien Mitarbeiters rückwirkend festgestellt wird. Mit einer solchen Feststellung steht zugleich fest, dass der Dienstverpflichtete als Arbeitnehmer zu vergüten war und ein Rechtsgrund für die Honorarzahlungen nicht bestand, soweit die im Arbeitsverhältnis geschuldete Vergütung niedriger ist als das für das freie Dienstverhältnis vereinbarte Honorar. War anstelle eines Honorars für die Tätigkeit im Arbeitsverhältnis eine niedrigere Vergütung zu zahlen, umfasst der Bereicherungsanspruch des Arbeitgebers nicht sämtliche Honorarzahlungen, sondern nur die Differenz zwischen den beiden Vergütungen.

Es gilt in diesem Fall allerdings einige Hürden zu überwinden, da unter anderem allein der Umstand der Feststellung einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nicht zwangsläufig bedeutet, dass ein Arbeitsverhältnis bestand. Insofern sollte hier auf jeden Fall ein erfahrener Arbeitsrechtler konsultiert werden.

 24.10.2019

MdC

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