Rechtsprechung

Annahmeverzugslohn und das böswillige Unterlassen anderweitigen Verdiensts

Besteht in einem Kündigungsschutzverfahren Streit darüber, ob ein Arbeitsverhältnis fortbesteht, so schuldet der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer den sog. Annahmeverzugslohn für die Zeit nach der Entlassung bis zur Feststellung des Gerichts, dass das Arbeitsverhältnis weiter besteht (oder zu einem anderen, nach der Kündigung liegenden Zeitpunkt, geendet hat). Der Arbeitnehmer muss sich jedoch in diesem Fall gemäß § 11 KschG unter anderem anrechnen lassen, anrechnen lassen, was er durch anderweitige Arbeit verdient hat bzw. was er hätte verdienen können, wenn er es nicht böswillig unterlassen hätte, eine ihm zumutbare Arbeit anzunehmen.

Das LAG Köln hat in einer aktuellen Entscheidung (Urteil v. 10.10.2023, Az 4 Sa 22/23) dazu Folgendes ausgeführt:

"Ohne das Hinzutreten besonderer Umstände ist nach Ausspruch einer fristlosen Arbeitgeberkündigung regelmäßig nicht anzunehmen, der Arbeitnehmer hätte es böswillig unterlassen, eine zumutbare Tätigkeit anzunehmen, wenn er binnen drei Monaten eine neue Stelle findet und antritt. Der nach Kündigungsausspruch einzuleitende Bewerbungsprozess durchläuft regelmäßig mehrere Stagen (zumeist beginnend mit der Sichtung von Stellenangeboten, sodann dem Verfassen und Versenden von Bewerbungen, schließlich der Durchführung eines Vorstellungsgesprächs, u.U. auch der Teilnahme an einem Assessment-Center) und dauert für gewöhnlich mehrere Wochen. Zumindest wenn das Berufsbild des Arbeitnehmers nicht einem besonders schnelllebigen Bereich des Arbeitsmarkts zugeordnet werden kann, kann zunächst ohne weiteres davon ausgegangen werden, dass der Arbeitnehmer hinreichende Bemühungen um eine neue Anstellung an den Tag gelegt hat, wenn er binnen drei Monaten eine solche erlangt."

Arbeitgeber müssen demnach in (verlorenen) Kündigungsschutzverfahren zumindest innerhalb der ersten 3 Monate nach erfolgloser Kündigung erhebliche Beweise für ein solches Unterlassen haben, um etwaige Ansprüche auf Annahmeverzugslohn auszuhebeln.

Auch (Fremd-) Geschäftsführer können Anspruch auf Urlaub haben

Dass das deutsche Urlaubsrecht mittlerweile komplett durch die europäische Rechtsprechung beherrscht wird ist nichts Neues. Von daher war auch die jüngste Entscheidung des BAG (9 AZR 43/22) nicht verwunderlich, in der es um Urlaubsansprüche eines (Fremd-) Geschäftsführers einer GmbH ging. Auch Fremdgeschäftsführer einer GmbH können nach Auffassung des BAG  Arbeitnehmer im Sinne des Bundesurlaubsgesetzes sein. Auf den nationalen Arbeitnehmerbegriff kommt es dabei nicht an, da der Urlaubsanspruch aus der europäischen Arbeitszeitrichtlinie (Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG) folgt und die Frage, wer denn nun Arbeitnehmer ist und wer nicht, sich deshalb ebenfalls (nur) nach europäischen Recht richtet.

Der Arbeitnehmerbegriff im Unionsrecht (genauer: hier im Rahmen der Richtlinie 2003/88/EG)  ist anhand objektiver Kriterien zu definieren, die das Arbeitsverhältnis unter Berücksichtigung der Rechte und Pflichten der betroffenen Personen kennzeichnen. Arbeitnehmer in diesem Sinne ist jeder,  der eine tatsächliche und echte Tätigkeit ausübt und während einer bestimmten Zeit für einen anderen nach dessen Weisung Leistungen erbringt, für die er als Gegenleistung eine Vergütung erhält. Nach der Rechtsprechung des EuGH ist es deshalb auch nicht ausgeschlossen, dass das Mitglied eines Leitungsorgans einer Kapitalgesellschaft den europäischen Arbeitnehmerbegriff erfüllt, selbst wenn der Grad der Abhängigkeit oder Unterordnung eines Geschäftsführers bei der Ausübung seiner Aufgaben geringer ist als der eines "normalen" Arbeitnehmers. In die Beurteilung sind dabei auch die Umstände einzubeziehen, in welchem Umfang der geschäftsführende Gesellschafter über seine Anteile an der Willensbildung der Gesellschaft wahrnimmt.

MdC

Keolis Agen - EuGH zum Verfall von Urlaub bei Langzeiterkrankungen

Mit Urteil vom 9.11.2023 hat sich der EuGH zum Verfall von Urlaubsansprüchen bei Langzeiterkrankungen positioniert.

In seinen Leitsätzen formuliert der EuGH:

 

1.      Art. 31 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union und Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung sind dahin auszulegen, dass ein Arbeitnehmer den in der erstgenannten Bestimmung verankerten und in der letztgenannten Bestimmung konkretisierten Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub gegenüber seinem Arbeitgeber geltend machen kann, wobei es insoweit unerheblich ist, dass es sich bei diesem um ein privates Unternehmen handelt, das mit der Erbringung öffentlicher Dienstleistungen betraut wurde.

2.      Art. 7 der Richtlinie 2003/88 ist dahin auszulegen, dass er einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder einzelstaatlichen Gepflogenheiten nicht entgegensteht, nach denen in Ermangelung einer nationalen Bestimmung, die eine ausdrückliche zeitliche Begrenzung für die Übertragung von erworbenen Ansprüchen auf bezahlten Jahresurlaub vorsieht, die aufgrund einer Krankschreibung wegen einer Langzeiterkrankung nicht geltend gemacht wurden, Forderungen nach bezahltem Jahresurlaub stattgegeben werden kann, die ein Arbeitnehmer innerhalb von 15 Monaten nach Ende des Bezugszeitraums, in dem der Anspruch auf diesen Jahresurlaub entstanden ist, gestellt hat und die auf zwei Bezugszeiträume in Folge beschränkt sind.

 

Diese lang erwartete Entscheidung ist erfreulich, da nun klar ist, dass ein unbegrenztes Ansammeln von Urlaubsansprüchen verhindert werden kann.

Wünschenswert wäre indessen, wenn der deutsche Gesetzgeber dies im Rahmen der nationalen Umsetzung im Bundesurlaubsgesetz zügig regelt.

13.11.2023

Rechtswidrige Ausschreibung des Einsatz von Integrationshelfern

 

Mit Urteil v. 17.05.2023 (Az B 8 SO 12/22 R) hat das BSG die Revision eines  beklagten Sozialhilfeträgers zurückgewiesen und festgestellt, dass dessen Ausschreibung über den Einsatz von Integrationshelfern  für Kinder mit Behinderung im Rahmen der Eingliederungshilfe rechtswidrig war. Die Durchführung eines Vergabeverfahrens und Erteilung des Zuschlags sind demnach nicht zulässig, da durch die Umgestaltung der Schulbegleitung im Wege der Vergabe die Kläger in ihrem Recht auf chancengleiche Teilnahme an der Leistungserbringung verletzt werden.  Es kommt zu einer Wettbewerbsverzerrung in einem Umfang, die anderen Anbietern auf Dauer keine Chance belässt. Darin liegt ein nicht gerechtfertigter Eingriff in die Berufsfreiheit der Kläger aus Art 12 Abs 1 iVm Art 19 Abs 3 GG.

13.11.2023

Und schon wieder.....zum Beweiswert einer AU

Das Thema Beweiswert von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen beschäftigt seit geraumer Zeit die Landesarbeitsgerichte. Nachdem das BAG zunächst Erleichterungen für Arbeitgeber erhoffen ließ, ist die Rechtsprechung der Landesarbeitsgerichte deutlich kritischer. Aktuell urteilte das LAG Mecklenburg-Vorpommern dazu:

 

1. Der Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ist erschüttert, wenn nach Maßgabe eines verständigen Arbeitgebers Tatsachen vorhanden sind, die erhebliche Zweifel an der tatsächlichen Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers belegen. Erbringen Arbeitnehmer beispielsweise anderweitig Arbeitsleistungen, die sie ebenso gut bei dem eigenen Arbeitgeber ausführen könnten, kann sich daraus ein Anzeichen für eine tatsächlich vorhandene Leistungsfähigkeit ergeben.

2. Der Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ist aber nicht allein deshalb erschüttert, weil diese einen Zeitraum innerhalb der Kündigungsfrist, insbesondere gegen Ende der Kündigungsfrist betrifft.

Auf der sicheren Seite ist man deshalb als Arbeitgeber momentan nur, wenn man neben dem "zufälligen" Zusammenfallen von Kündigungsfrist und AU weitere Tatsachen vortragen kann, die den Beweiswert der AU erschüttern können.

Diskriminierung von Teilzeitbeschäftigtenc

Am 19.10.2023  hat der EuGH sein lange erwartetes Urteil zu Überstundenzuschlägen für Teilzeitbeschäftigte verkündet. Sofern ein  Arbeitgeber Vollzeitbeschäftigten bei Überschreitung der regelmäßigen Arbeitszeit zusätzlich zum Arbeitsentgelt eine Überstundenvergütung gewährt, haben Teilzeitbeschäftigte auf diesen Zuschlag bereits dann einen Anspruch, wenn sie ihre individuelle (Teilzeit-)Arbeitszeit überschreiten. Nach Auffassung des EuGH gilt Anderes nur dann, wenn die Regelung durch objektive Faktoren gerechtfertigt ist, was vom Arbeitgeber darzulegen und zu beweisen ist.

Die Entscheidung des EuGH ist nicht überraschend. In der europäischen "Teilzeitrichtlinie" (RL 97/81 EG) findet sich in § 4 der Grundsatz der Nichtdiskrimierung:

1. Teilzeitbeschäftigte dürfen in ihren Beschäftigungsbedingungen nur deswegen, weil sie teilzeitbeschäftigt sind, gegenüber vergleichbaren Vollzeitbeschäftigten nicht schlechter behandelt werden, es sei denn, die unterschiedliche Behandlung ist aus objektiven Gründen gerechtfertigt.
2. Es gilt, wo dies angemessen ist, der Pro-rata-temporis-Grundsatz.

Die Entscheidung ist nur auf den ersten Blick nicht ganz so relevant für die Kinder- und Jugendhilfe. Auf den zweiten Blick wird man schnell feststellen, dass insbesondere bei angeordneten Bereitschaftsdiensten die Gefahr besteht, dass Teilzeitbeschäftigte benachteiligt werden könnten. Sofern Teilzeitbeschäftigte mehr (Nacht-) Bereitschaften im Verhältnis zu ihrer Teilzeittätigkeit leisten als Vollzeitbeschäftigte, könnte eine klare Schlechterstellung vorliegen. Nicht nur der Umfang der im Verhältnis ansteigenden Nachtarbeitsstunden, sondern auch der damit einhergehende Anteil an schlechter vergüteten (Bereitschafts-) Zeiten würde Teilzeitbeschäftigte deutlich schlechter stellen.

Auf der sicheren Seite wird man daher nur sein, wenn man die arbeits- bzw. tarifvertraglichen Regelungen für (Nacht-) Bereitschaftsdienste immer im Verhältnis zur vereinbarten Arbeitszeit anpasst. Beispiel: Vollzeitarbeitnehmerinnen arbeiten (sofern tarifvertraglich zulässig)  in Vollzeit regelmäßig 36 Vollarbeitsstunden und leisten zusätzlich 2 Bereitschaftsdienste a 8 Stunden.  Eine Teilzeitmitarbeiterin mit 50% würde deshalb nur 18 STunden und einen Bereitschaftsdienst leisten müssen.

Weiteres Beispiel: Ein Vollzeitmitarbeiter in einer EInrichtung ohne Tarifvertrag arbeitet 40 h / Woche und leistet zusätzlich einen Bereitschaftsdienst pro Woche. Ein Teilzeitmitarbeiter in 50% würde dann nur noch 20h/Woche Vollarbeit leisten und einen Bereitschaftsdienst alle 14 Tage ableisten.

Andere Regelungen wären nur möglich, sofern die Art der Stelle dies vorsieht, bspw. bei reinen Nachtbereitschaften. Hier wäre dann ergänzend nur zu prüfen, ob ggf. der Mindestlohn relevant wäre.

3.11.2023

 

 

Änderung eines Arbeitszeugnisses

Zu welchen Streitigkeiten es bei der Erstellung eines Arbeitszeugnisses kommen kann, das zeigt eine aktuelle Entscheidung des BAG (Urteil v. 6.6.2023, Az 9 AZR 272/22). Zusammengefasst entschied das BAG: Ändert ein Arbeitgeber das Arbeitszeugnis (hier: mehrfach) auf Verlangen des Arbeitnehmers, darf er eine in den früheren Fassungen enthaltene Dankes- und Grußformel nicht weglassen.

Kontakt

Arbeitgeberverband privater Träger
der K
inder- und Jugendhilfe e.V.

Nikolaiwall 3

27283 Verden

Tel 04231 - 95 18 412

Mail: info@ag-vpk.de

Internet: www.ag-vpk.de

 

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